23.11.2016
Keine Arbeitnehmer, aber dennoch Leiharbeitnehmer?
Nach EuGH droht die Anwendung des AÜG auf die Gestellung von DRK-Schwestern
Sachverhalt und Fragestellung
In vielen Häusern sind DRK-Schwestern im Rahmen von Gestellungsverträgen tätig. Die DRK-Schwestern begründen bei Eintritt in die Schwesternschaft kein Arbeitsverhältnis. Rechtsgrundlage für die Arbeitspflicht ist allein die Mitgliedschaft im Verein. Sie leisten mit ihrer Tätigkeit ihren Beitrag zur Erfüllung des Vereinszwecks. Deshalb sind sie nach deutschem Recht keine Arbeitnehmer.
Vorher nahm man an, wer kein Arbeitnehmer ist, kann auch kein Leiharbeitnehmer sein. Die Frage dieser Differenzierung stellte sich erst mit der AÜG-Reform zum 01.12.2011. Vorher waren Personalgestellungen zum „Selbstkostenpreis“, wie in diesen Fällen, bereits mangels Gewinnerzielungsabsicht keine Arbeitnehmerüberlassung.
Vor dem BAG (1 ABR 62/15) war nun die Frage anhängig, ob der Betriebsrat der Einstellung eines DRK-Schwester seine Zustimmung verweigern kann. Dies wäre nur dann zulässig, wenn die Gestellung der DRK-Schwester eine Arbeitnehmerüberlassung darstellt. Deshalb legte das BAG am 17.03.2015 dem EuGH die Frage vor, ob die europäische Leiharbeitsrichtlinie auch dann anwendbar sein kann, wenn das Verhältnis des potentiellen Leiharbeitnehmers zum Verleiher kein Arbeitsverhältnis darstellt.
Die Entscheidung des EuGH
Der EuGH bestätigte in seiner Entscheidung vom 17.11.2016 (C-216/15), dass eine wirtschaftliche Tätigkeit allein die Teilnahme am Markt ist. Auf eine Gewinnerzielungsabsicht kommt es nicht an. Die Anwendung der Richtlinie scheitert nach der Reform deshalb nicht an der mangelnden wirtschaftlichen Tätigkeit.
Es liegen nach dem EuGH Indizien für eine Arbeitnehmereigenschaft der DRK-Schwestern vor (persönlicher Abhängigkeit, monatliche Vergütung). Die Eigenschaft als Arbeitnehmer nach nationalem Recht ist aber für die Anwendung der Richtlinie irrelevant.
Für den EuGH ist entscheidend, ob die Person aufgrund ihrer Arbeitsleistung geschützt ist, also ob die Arbeitsschutzrechte ebenfalls auf diese Personen anwendbar sind. Nach dem EuGH spricht viel dafür, dass aufgrund der Arbeitsleistung ein entsprechender Schutz besteht (Geltung der zwingenden arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen und des Sozialgesetzbuches sowie die Gewährung von Urlaub, Mutterschutz, Elternzeit und Entgeltfortzahlung).
Eine abschließende Prüfung überlässt der EuGH jedoch dem nationalen Gericht.
Folgen der Entscheidung
Die Entscheidung des BAG wird für das erste Halbjahr 2017 erwartet. Auch wenn das BAG souverän entscheidet, dürfte die Tendenz erkennbar sein. Denn die Entscheidung des EuGH ist so detailliert, dass eine Nichtanwendung der Leiharbeitnehmerrichtlinie überraschend wäre.
Das reformierte Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) mit seinen teils scharfen Restriktionen beruht auf der Leiharbeitnehmerrichtlinie. Mit der zu erwartenden Entscheidung des BAG wird erkannt werden, dass auf die Zusammenarbeit mit der DRK-Schwesternschaft das AÜG anzuwenden ist.
Diese zu erwartende Erkenntnis wirkt aber auch rückwirkend auf die bereits jetzt schon bestehenden Kooperationsverhältnisse. Deshalb ist es zwingend notwendig, bereits heute Lösungen für morgen zu finden, um die teils sogar strafrechtlich relevanten Folgen einer unzulässigen Arbeitnehmerüberlassung zu vermeiden.
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Dr. Harald Endemann
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