09.05.2022
Überstunden muss der Arbeitnehmer nachweisen
Das BAG bestätigt seine bisherige Linie auch im Hinblick auf den EuGH
Hintergrund
Arbeitszeitrecht ist Europarecht und wird in der Richtlinie 2003/88/EG geregelt. Der EuGH urteilte in seiner Entscheidung vom 14.05.2019 (Az C-55/18), dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, die gesamte Arbeitszeit zu erfassen. Die Mitgliedstaaten seien verpflichtet, entsprechende Regelungen zu erlassen (siehe hierzu die vorherige Mandanteninformation).
In der Literatur und erstinstanzliche Rechtsprechung wurde hieraus teilweise gefolgert, dass es bei Überstunden für die Arbeitnehmer Beweiserleichterungen gibt. Nicht selten am Ende des Arbeitsverhältnisses legen Arbeitnehmer Aufzeichnungen vor, die zeigen, wie lange sie wann gearbeitet haben und beanspruchen hierfür Überstundenvergütung.
Sachverhalt und Entscheidung
Der Kläger war als Auslieferungsfahrer beschäftigt bei der Beklagten, die ein Einzelhandelsunternehmen betreibt. Seine Arbeitszeit erfasste der Kläger mittels technischer Zeitaufzeichnung, wobei nur Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, nicht jedoch die Pausenzeiten aufgezeichnet wurden. Zum Ende des Arbeitsverhältnisses ergab die Auswertung der Zeitaufzeichnungen einen positiven Saldo von 348 Stunden zugunsten des Klägers. Diesen Saldo wollte er sich auszahlen lassen. Der Kläger machte geltend gemacht, er habe die gesamte aufgezeichnete Zeit gearbeitet. Die Beklagte hat dies bestritten.
Das Arbeitsgericht Emden gab der Klage statt. Mit Verweis auf das zitierte EuGH-Urteil sei die Beweislast im Überstundenprozess modifiziert. Die Arbeitszeitaufzeichnung spreche für den Kläger und der Arbeitgeber müsse darlegen und beweisen, wann Pausen oder Nichtarbeiten erfolgt seien. Dem folgte das LAG Niedersachsen nicht. Der Arbeitnehmer muss zur Begründung einer Klage auf Vergütung geleisteter Überstunden erstens darlegen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden Umfang geleistet hat. Da der Arbeitgeber Vergütung nur für von ihm veranlasste Überstunden zahlen muss, hat der Arbeitnehmer zweitens vorzutragen, dass der Arbeitgeber die geleisteten Überstunden ausdrücklich oder konkludent angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt hat. Diese vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Grundsätze zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für die Leistung von Überstunden durch den Arbeitnehmer und deren Veranlassung durch den Arbeitgeber werden durch die auf Unionsrecht beruhende Pflicht zur Einführung eines Systems zur Messung der vom Arbeitnehmer geleisteten täglichen Arbeitszeit nicht verändert. Diese Begründung bestätigte das Bundesarbeitsgericht nun in seiner Entscheidung vom 04.05.2022 (Az 5 AZR 359/21).
Bewertung
Die Klarstellung des BAG ist zu begrüßen. Die Entscheidung des EuGH richtet sich an den Gesetzgeber und hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf ein Arbeitsverhältnis.
Zugleich bedeutet dies aber nur einen Zwischenschritt. Es bleibt abzuwarten, wie der deutsche Gesetzgeber die Vorgaben des EuGH im Detail umsetzen wird. Bereits jetzt steht fest, dass bei nahezu jedem Unternehmen die Arbeitszeiterfassung auf den Prüfstand gehört.
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Dr. Konrad Maria Weber
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