21.03.2023
Änderung der BSG-Rechtsprechung bei Beatmungsfällen
Urteil des BSG vom 10.03.2022 – B 1 KR 35/20 R
Mit Urteil vom 10.03.2022 hat das BSG seine Rechtsprechung in den sog. Beatmungsfällen klargestellt. Es reagierte damit auf die erhebliche Kritik, die es an der vorherigen Rechtsprechung u.a. von der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin in einem offenen Positionspapier gab.
Sachverhalt
In der Entscheidung ging es um die rechtmäßige Kodierung von Spontanatmungsstunden nach der Deutschen Kodierrichtlinie (DKR) 1001h. Ein Patient wurde 2011 stationär wegen eines epileptischen Anfalls behandelt und über ein Maskensystem intermittierend nicht invasiv beatmet. Die Atmung wurde täglich für mehr als sechs Stunden unterstützt. Während der Spontanatmungszeit setzte die Klinik eine Sauerstoffinsufflation ein.
In vorherigen Entscheidungen (vgl. BSG-Urteil, 19.12.2017, B 1 KR 18/17 R) urteilte das BSG noch, dass die Berücksichtigung von Entwöhnungszeiten voraussetze, dass der Patient zunächst an die Beatmung in der Klinik „gewöhnt“ sei. Zeiten der Spontanatmung seien nicht zu addieren, wenn der Patient sich nicht an die Beatmung gewöhnt habe, aber aus anderen Gründen nach Intervallen mit Spontanatmung wieder maschinelle Beatmung erhalte.
Inhalt der Entscheidung
Das BSG stellt in seiner Entscheidung klar, dass eine Gewöhnung tatsächlich nicht im Sinne einer Abhängigkeit wie bei einem Suchterkrankten, sondern darunter die akute Abhängigkeit von der lebenserhaltenden Beatmungsmaschine zu verstehen sei. Die Gewöhnung trete praktisch mit Beginn der Beatmung ein. Das BSG führt aus, dass
„die Gewöhnung an die maschinelle Beatmung als Voraussetzung für eine Entwöhnung vom Beatmungsgerät lediglich die erhebliche Einschränkung oder den Verlust der Fähigkeit erfordert, über einen längeren Zeitraum vollständig und ohne maschinelle Unterstützung spontan atmen zu können.“
Demnach muss im Einzelfall geprüft werden, ob eine stabile respiratorische Situation vorlag oder eine Entwöhnung von der maschinellen Beatmung erforderlich war.
Bewertung und Ausblick
Für Beatmungsfälle ab dem Jahr 2020 hat die Änderung der Rechtsprechung keine Auswirkung, da die DKR im Jahr 2020 grundlegend überarbeitet wurde. Die Neukonzeption der Version 1001s sieht eine einfachere Berechnung der Beatmungsstunden vor, sodass es auf die Frage der Berücksichtigung von Spontanatmungsstunden nicht mehr ankommt. Die neuste DKR 1001u (ab 2022) enthält kleine Änderungen, das Grundkonzept der Version 1001s bleibt bestehen.
Das Urteil hat aber dennoch Relevanz für „Altfälle“ bis zum 31.12.2019, die nach der DKR 1001h zu bewerten sind. Bei diesen sollten die Kliniken im Einzelfall prüfen, ob noch offene nicht verjährte Forderungen bestehen. Falls ja, kann sich eine Geltendmachung der Beatmungsfälle nach der Anpassung der Rechtsprechung lohnen.
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Sarah Kassen
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