21.05.2019

Arbeitszeit muss künftig vollständig dokumentiert werden

Der EuGH stellt das bisherige System der Arbeitszeitdokumentation auf den Kopf

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Hintergrund

Arbeitszeitrecht ist Europarecht und wird in der Richtlinie 2003/88/EG geregelt. Die Richtlinie muss in nationales Recht umgesetzt werden. In Deutschland erfolgt dies durch das Arbeitszeitgesetz (ArbZG). Nach § 3 Satz 1 ArbZG darf die tägliche Arbeitszeit 8 Stunden grundsätzlich nicht überschreiten. Eine Überschreitung auf maximal 10 Stunden ist nach § 3 Satz 2 ArbZG nur dann zulässig, wenn innerhalb der nächsten sechs Monate durchschnittlich 8 Stunden gearbeitet wird. Daneben gibt es andere zwingende Regelungen, u.a. zu Pausen und zur Ruhezeit zwischen den einzelnen Arbeitseinsätzen.

Die staatlichen Aufsichtsbehörden kontrollieren die Einhaltung des Gesetzes. Um die Kontrolle effektiv zu gestalten, bestehen nach § 16 Abs. 2 ArbZG Aufzeichnungspflichten. Hiernach sind (nur) die Zeiten oberhalb der täglichen Höchstarbeit von 8 Stunden zu dokumentieren.

Sachverhalt und Entscheidung

Der vom EuGH zu entscheidende Fall stammt aus Spanien. Eine Gewerkschaft klagte gegen eine Bank um feststellen zu lassen, dass diese verpflichtet sei, ein System zur Erfassung der von den Arbeitnehmern geleisteten täglichen effektiven Arbeitszeit einzuführen.

Sowohl in der Richtlinie als auch im spanischen Recht fehlt jeweils eine ausdrückliche Anordnung, die Arbeitszeit umfassend zu erfassen. Geregelt ist allein die Verpflichtung, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, dass die Vorgaben eingehalten werden. Im spanischen Recht sind (wie in Deutschlang) ebenfalls nur die Überstunden zu erfassen.

Der EuGH urteilte in seiner Entscheidung vom 14.05.2019 (Az C-55/18), dass die alleinige Erfassung der Überstunden nicht ausreiche und gegen die Richtlinie verstoße. Der Arbeitnehmerschutz und die Richtlinie verlangen von den Unternehmen ein System zu schaffen, dass die Erfassung der täglichen effektiv geleisteten Arbeitszeit ermöglicht. Die Mitgliedstaaten seien verpflichtet, entsprechende Regelungen zu erlassen.

Bewertung

Damit wird auch das deutsche Arbeitszeitrecht auf den Kopf gestellt. Das bisherige System, nur die Überstunden (also alles über 8 Stunden) zu erfassen, reicht nicht mehr. Im Grunde verlangt der EuGH die Rückkehr zur guten alten Stechuhr.

Auch in Bereichen, bei denen ohnehin bereits eine Arbeitszeiterfassung erfolgt, hat das Urteil Auswirkungen. Denn häufig erfolgt die Arbeitszeiterfassung zu Vergütungszwecken. Die Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinne unterscheidet sich aber von der Arbeitszeit im arbeitszeitrechtlichen Sinne. Die Regelungen (meist Betriebsvereinbarungen) müssen demnach angepasst werden. Noch größer sind die Auswirkungen im Verwaltungs- oder kaufmännischen Bereichen, wo häufig in Vertrauensarbeitszeit gearbeitet wird. Dies wird künftig nicht mehr möglich sein.

Es bleibt abzuwarten, wie der deutsche Gesetzgeber die Vorgaben des EuGH im Detail umsetzen wird. Bereits jetzt steht fest, dass bei nahezu jedem Unternehmen die Arbeitszeiterfassung auf den Prüfstand gehört.

  • Dr. Konrad Maria Weber
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