24.11.2015
BAG vom 04.11.2015 (Az. 7 ABR 42/13) Leiharbeitnehmer zählen immer mehr
Mit der Entscheidung vom 04.11.2015 (Az. 7 ABR 42/13) verabschiedet sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) immer weiter von dem althergebrachten Grundsatz „Leiharbeitnehmer wählen, zählen aber nicht“.
Leiharbeitnehmer und Schwellenwert
Nach § 9 Abs. 1 Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) werden die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer eines Unternehmens mit in der Regel mehr als 8000 Arbeitnehmern grundsätzlich durch Delegierte gewählt. Das BAG hatte zu entscheiden, ob unter dem Begriff „Arbeitnehmer“ auch Leiharbeitnehmer fallen.
Nach der Entscheidung des BAG sind wahlberechtigte Leiharbeitnehmer auf Stammarbeitsplätzen zur Errechnung des Schwellenwertes mitzuzählen, so dass im konkreten Fall der Schwellenwert erreicht wurde. Anstatt der direkten Wahl war eine Delegiertenwahl durchzuführen.
Bewertung der Entscheidung
Die konkret streitgegenständliche Rechtsfrage zum MitbestG ist für viele in der Praxis von keiner großen Relevanz. Gleichwohl stellt der Beschluss des BAG einen weiteren Baustein in der Entwicklung der Rechtsprechung dar und ist deshalb für alle, die Leiharbeitnehmer beschäftigen, von besonderem Interesse.
Es wird erkennbar, dass Leiharbeitnehmer bei der Errechnung von Schwellenwerten zunehmend wie Stammbeschäftigte behandeln werden sollen. Die bis zum Jahr 2012 streng vertretene Zwei‑Komponenten-Lehre mit dem Schlagwort „Leiharbeitnehmer wählen, zählen aber nicht“, wird immer mehr aufgegeben. Nach Ansicht des BAG führt diese Lehre zumindest beim drittbezogenen Personaleinsatz und einer aufgespaltenen Arbeitgeberstellung nicht zu sachgerechten Ergebnissen. Differenziertere Lösungen sind geboten, insbesondere in betriebsverfassungsrechtlichem Zusammenhang (BAG, 05.12.2012 – 7 ABR 48/11). So sind Leiharbeitnehmer bei der Bestimmung der Größe des Betriebsrates gemäß § 9 BetrVG grundsätzlich mit zu berücksichtigen (BAG, 13.03.2013 – 7 ABR 69/11, LAG Rheinland-Pfalz, 06.02.2015 – 1 TaBV 23/14). Hieraus folgert die Instanzenrechtsprechung auch die Berechnung der freizustellenden Betriebsratsmitglieder gemäß § 38 BetrVG (LAG Rheinland Pfalz, 14.07.2015 – 8 TaBV 34/14; LAG Baden-Württemberg, 27.02.2015 – 9 TaBV 8/14).
Besonders einschneidende Auswirkungen sind aber zu erwarten, wenn Leiharbeitnehmer auch bei den Schwellenwerten zu berücksichtigen sind, ob überhaupt ein mit Arbeitnehmern besetzter Aufsichtsrat zu bilden ist, also das Drittelbeteiligungsgesetz (mehr als 500 Arbeitnehmer gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 DrittelBG) oder das MitbestG (mehr als 2000 Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 MitbestG) anwendbar wird. Die Antwort auf diese Frage hat erhebliche Auswirkungen auf die Organisation und die Leitung des Unternehmens.
Nach der bisherigen herrschenden Ansicht in der Rechtsprechung (OLG Hamburg, 31.01.2014 – 11 W 89/13) wird eine Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei den Schwellenwerten zur Errichtung eines Aufsichtsrates bislang noch abgelehnt. Ob diese Rechtsprechung auch im Hinblick auf die BAG-Rechtsprechung weiterhin aufrecht zu erhalten ist, bleibt abzuwarten. Insbesondere Unternehmen am Rande der Schwellenwerte sollten die weitere Entwicklung beobachten.
Dr. Konrad Maria Weber, Rechtsanwalt
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