31.08.2017
Öffentliches Tarifrecht gilt auch nach Privatisierung weiter
Das BAG folgt dem EuGH und lässt arbeitsvertraglich vereinbarte Tarifverträge nach einem Betriebsübergang praktisch ewig fortgelten, auch wenn Erwerber hieran nicht gebunden ist
Sachverhalt und Fragestellung
Ein Krankenhaus war zunächst in kommunaler Hand. Es galt der BAT (jetzt TVöD-K). Das Haus wurde privatisiert und der jetzige Krankenhausträger war weder in einem Arbeitgeberverband noch gab es einen Haustarifvertrag. Es galt somit kein Tarifvertrag.
Die Arbeitsverträge der klagenden Arbeitnehmer verweisen dynamisch auf den BAT bzw. dessen ersetzende Tarifverträge. Nach dem Wortlaut der Arbeitsverträge wären also künftige Tarifentwicklungen des TVöD zu berücksichtigen.
Der EuGH entschied am 18.07.2013 (C-426/11) für einen englischen Sachverhalt, dass der Erwerber eines Betriebes nach dem Betriebsübergang nicht an die Tarifverträge des Veräußerers gebunden sei, auf die er keinen Einfluss nehmen kann. Manche übertrugen diesen Grundsatz auch auf Deutschland. Es gab Stimmen, nach denen Tarifverträge im Falle eines Betriebsüberganges nur statisch fortgelten, also „eingefroren werden“, sofern lediglich in Arbeitsverträgen auf diese verwiesen wird und der Erwerber an diese Tarifverträge nicht gebunden ist. Dies soll auch bei dynamischen Verweisungen gelten.
Es war die Frage, ob das BAG aufgrund des damaligen EuGH-Urteils seine jahrelange Praxis ändern wird. Das BAG nutzte die erste Gelegenheit und legte die Frage dem EuGH zur Auslegung der Richtlinie vor. Der EuGH entschied dieses Jahr, dass die Rechtsprechung zu England nicht auf Deutschland zu übertragen ist (E.S berichtete).
Entscheidung
Erwartungsgemäß schloss sich nun das BAG mit seiner Entscheidung vom 30.08.2017 (Az 4 AZR 95/14) der Rechtsansicht des EuGH an. Wenn in Arbeitsverträgen dynamisch auf Tarifverträge verwiesen wird, gilt dies als Teil der zu übernehmenden arbeitsvertraglichen Regelung grundsätzlich fort. Dies gilt auch dann, wenn der Erwerber auf die Tarifverträge keinen Einfluss hat.
Nach EuGH hatte das BAG zu prüfen, ob eine einseitige Änderung der Arbeitsverträge möglich ist. Für das BAG ist es ausreichend, dass die Arbeitsverträge einseitig oder mittels Änderungskündigung geändert werden können. Das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers überwiegt deshalb dem Interesse des Erwerbers an der unternehmerischen Freiheit.
Bewertung
Die Entscheidung trifft nicht nur Krankenhäuser, sondern ist für jeden Betriebsübergang relevant. Sie bedeutet praktisch eine ewige Fortgeltung (fremder) Tarifverträge. Entscheidend ist aber stets die konkrete Ausgestaltung des Arbeitsvertrages.
Einer einvernehmlichen Änderung der Arbeitsverträge wird der Arbeitnehmer nur dann zustimmen, wenn er sich besser stellt. Und bei der Änderungskündigung sind die Hürden so hoch, dass ein Tarifwechsel nur im krassen Ausnahmefall hierdurch zu erreichen sein dürfte.
Für viele privatisierten Unternehmen bedeutet die Entscheidung, dass die alten Arbeitsverhältnisse sich noch lange nach den Bedingungen des TVöD richten werden und – aufgrund der dynamischen Verweisung – auch die Tariflohnerhöhungen weitergegeben werden müssen.
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Dr. Konrad Maria Weber
Rechtsanwalt, Partner T +49.89.2000 568 60 / +49.40.539 323 180
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